Die Bedeutung der Sonnengrüße im Ashtanga Yoga reicht weit über das Aufwärmen hinaus. Sie dienen als energetisches Ritual für Körper, Atem und Geist. Bevor im Ashtanga Yoga eine stehende Haltung oder ein anderer Teil der Praxis beginnt, steht immer der Sonnengruß – Surya Namaskar – an erster Stelle. Aber was ist tie tiefere Bedeutung davon?
Was ist die Bedeutung der Sonnengrüße im Yoga?
Mehr als nur ein Aufwärmen oder eine körperliche Vorbereitung, liegt die tiefere Bedeutung der Sonnengrüße in ihrer Fähigkeit, den Körper zu aktivieren, den Stoffwechsel anzuregen, den Atem zu zentrieren, eine innere Haltung von Vertrauen zu schaffen und den Geist zu klären. Diese scheinbar einfachen Bewegungen sind ein heiliges Ritual – eine bewusste Hingabe an die innere und äußere Sonne, die Quelle von Leben, Licht und Bewusstsein.
Warum wir mit Sonnengrüßen beginnen
Im traditionellen System des Ashtanga Yoga werden Surya Namaskar A und B immer vor allen anderen Asanas geübt. Das ist kein Zufall. Sie erzeugen Hitze (Tapas), aktivieren Prāṇa (Lebensenergie) und regulieren das Nervensystemdurch die Synchronisierung von Atem und Bewegung (Vinyāsa).
Sie sind das Tor, durch das wir von der äußeren Welt in einen inneren Zustand des Yoga treten. In ihnen liegt eine Art täglicher Übergangsritus – ein Weg von Zerstreuung hin zu Präsenz.
Die Sonne und die Seele: Ein Symbol des wahren Selbst
In vielen spirituellen Traditionen ist die Sonne nicht nur ein Himmelskörper, sondern ein Symbol der Seele – das strahlende, unveränderliche Zentrum unseres Wesens. In der vedischen Astrologie (Jyotish) steht Surya für das Selbst, das wahre Ich. Diese Verbindung ist kein Zufall.
Die Sonne steht für Klarheit, Wahrheit und authentische Präsenz. Sie ist das einzige Himmelsobjekt, das aus sich selbst heraus leuchtet – durch ihr Licht erscheinen alle anderen Planeten, alle anderen Aspekte unseres Geistes. Jeden Tag der Sonne zu begegnen – durch Surya Namaskar – bedeutet symbolisch, uns selbst zu begegnen. Uns dem Licht zu stellen, das wir in Wahrheit sind.
Sich der Sonne zu verneigen wird so zu einem Akt der Rückverbindung – mit dem, was unter Konditionierung, Ablenkung und innerer Unruhe liegt. Mit der Zeit stärkt dieses Ritual nicht nur den Körper, sondern auch unsere innere Integrität – ein leises, kraftvolles Erinnern an das wahre Selbst.
Eine Praxis der Hingabe und Neuausrichtung
Sonnengrüße sind nicht bloß Bewegungsabfolgen. Sie sind eine Form von Verehrung. Eine Praxis der inneren Ausrichtung. Wenn wir uns vor der Sonne verneigen, dann nicht nur vor der äußeren am Himmel, sondern auch vor dem Licht in uns selbst.
In diesem Sinne umfasst die Bedeutung der Sonnengrüße ein tiefes, inneres Erkennen: Ich bin Teil der Natur. Teil des Lichts. Teil von etwas Größerem als meinem Ego.
Mit beständiger, bewusster Praxis werden sie zu einem Spiegel – für den Atem, für den Geist, für unsere tiefsten Muster.

Detox: Mehr als nur den Körper reinigen
Oft denken wir bei „Detox“ nur an körperliche Entgiftung. Doch Körper und Geist sind untrennbar verbunden – und echte Reinigung geschieht auch auf emotionaler und mentaler Ebene. Jeder Atemzug, jede Bewegung im Sonnengruß hilft, nicht nur Giftstoffe aus dem physischen Körper, sondern auch alte Gedankenmuster, Eindrücke (Samskāras) und emotionale Rückstände aus dem subtilen Körper loszulassen.
Dieser Prozess wird im Yoga Sūtra von Patañjali wunderschön beschrieben – Vers 1.12:
Abhyāsa-vairāgya-ābhyāṁ tan-nirodhaḥ
„Die Bewegungen des Geistes werden durch beständige Übung und liebevolles Loslassen zur Ruhe gebracht.“
Was in der Praxis auftaucht – Gefühle, Gedanken, Erinnerungen – gehört zu diesem Weg. Es geht nicht darum, es zu unterdrücken, sondern es bewusst wahrzunehmen, mit Mitgefühl zu halten und dann loszulassen.
Faszienlinien und energetischer Fluss
Aus physiologischer Sicht aktiviert Surya Namaskar die Faszienzüge – das Netzwerk aus Bindegewebe, das den gesamten Körper durchzieht. Diese sogenannten „faszialen Meridiane“, wie sie in Thomas Myers’ Anatomy Trainsbeschrieben sind, verbinden Muskeln, Organe und Knochen in funktionellen Linien.
Die fließenden Bewegungen – das Aufrichten, Beugen und Strecken – aktivieren insbesondere die oberflächliche Rückenlinie, die spiralförmige Linie und die tiefe Frontlinie. Diese Linien unterstützen Haltung, Koordination und Energiefluss.
Doch Faszien sind mehr als Gewebe – sie sind sensorisch und emotional aktiv. Sie speichern Erfahrungen, Spannungen, Erinnerungen. Wenn wir den Körper mit Atem und Achtsamkeit durch die Sequenz führen, lösen wir nicht nur körperliche Blockaden, sondern auch die Geschichten, die im Gewebe gespeichert sind – und schaffen Raum für neue Energie, innere Freiheit und Bewusstheit.
Was passiert, wenn wir sechs Monate lang täglich praktizieren?
Eine tägliche Praxis, so einfach sie auch sein mag, hat eine tiefgreifende Kraft. Aus einem Sonnengruß werden zwei, dann drei – bis der Körper beginnt, sich nach dem Rhythmus, dem Atem, der Bewegung zu sehnen. Mit der Zeit wird dieses kleine Ritual zu einem inneren Ankerpunkt. Ein Moment der Rückverbindung mit uns selbst, bevor der Tag beginnt.
Schon 5 bis 15 Minuten täglich, über sechs Monate hinweg, können eine tiefe Transformation in Gang setzen.
Zuerst antwortet der Körper
Die ersten Veränderungen spüren wir körperlich: mehr Flexibilität, Kraft und Stabilität. Die Wirbelsäule wird geschmeidiger, die Haltung richtet sich auf, der Atem wird tiefer. Kreislauf und Stoffwechsel regulieren sich, die Muskeln erwachen – aber auch Gelenke und Faszien beginnen, sich zu lösen und zu regenerieren.
Bewegung wird wieder zu einem natürlichen Ausdruck – nicht aus Anstrengung, sondern aus innerem Fluss.
Das Nervensystem findet einen neuen Rhythmus
Ebenso entscheidend ist die Wirkung auf das autonome Nervensystem. Durch den gleichmäßigen Rhythmus von Atem und Bewegung kommt das System aus dem Kampf-oder-Flucht-Modus zurück in den Ruhe-und-Regenerationszustand. Der Körper erinnert sich daran, wie es sich anfühlt, sicher zu sein.
Surya Namaskar wird so zu einer täglichen Regulation – ein Weg, den Tag zu beginnen, Übergänge bewusster zu gestalten oder den Abend zu beruhigen. Mit jeder bewussten Bewegung stärken wir den Vagusnerv, was langfristig zu mehr innerer Ausgeglichenheit führt.
Gefühle beginnen sich zu lösen und zu klären
Auch emotional beginnt sich etwas zu bewegen. Unverarbeitete Gefühle – Trauer, Freude, Wut, Erschöpfung – tauchen manchmal unerwartet auf. Doch anstatt uns zu überfordern, dürfen sie gesehen und gefühlt werden. Der Körper gibt ihnen durch Bewegung einen sicheren Raum. Es geht nicht darum, sie zu analysieren, sondern sie mit dem Atem zu begleiten – und dann weiterziehen zu lassen.
Sonnengrüße werden so zu einer Praxis der emotionalen Reinigung. Nicht dramatisch, sondern sanft. Nicht analysierend, sondern fühlend.
Der Geist wird klar und still
Mentale Muster beginnen sich zu lösen. Die Wiederholung bringt Rhythmus, und Rhythmus bringt Stille. Die Gedanken verlieren ihre Dringlichkeit. Mit der Zeit entsteht eine Art bewegte Meditation – klar, geerdet, verbunden. Diese Klarheit begleitet uns immer mehr auch vom Yoga in den Alltag.
Wie Patañjali schreibt:
Abhyāsa vairāgyabhyām tan nirodhaḥ
Durch beständige Praxis und liebevolles Loslassen wird der Geist ruhig.
Die Essenz der Sonnengrüße
Das ist der wahre Kern dieser Praxis. Kein Perfektionismus. Kein Leistungsdruck. Nur Hingabe, Wiederholung, Bewusstsein.
Und durch diese Kontinuität beginnt das innere Licht klarer zu scheinen. Nicht plötzlich, sondern schrittweise – wie die aufgehende Sonne.
Die Bedeutung der Sonnengrüße offenbart sich nicht durch intellektuelles Verstehen, sondern durch gelebte Erfahrung.
Nicht von außen nach innen, sondern von innen heraus.
Wenn ihr mehr erfahren möchtet:
- Yoga Angebote:
Mehr über meinen Yogastil und meine Angebote findest du hier. - Ayurveda und Yoga
Informationen über Yoga Aus- und Fortbildungen erfährst du hier.“ - Yoga Philosophie
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Coaching & Beratung (auch Vedische Astrologie & Ayurveda) findest du hier.“ - Sonnengrüße Schritt-für-Schritt Anleitung
Eine Schritt für Schritt Anleitung für Surya Namaskar findest du hier.“
Weitere Informationen:
- Yoga Sutras von Patañjali (Übersicht und Textquelle)
https://www.yoga-vidya.de/yoga-buch/yoga-sutras/kapitel-1-vers-12/ - Thomas Myers – Anatomy Trains (englisch)
https://www.anatomytrains.com/ - Wikipedia: Surya Namaskar / Sonnengruß (zur Begriffsklärung)
https://de.wikipedia.org/wiki/Sonnengru%C3%9F