Die dunkle Nacht der Seele. Das haben wir alle schon erlebt.
In der dunklen Nacht unserer Seele, wo Leid und Verzweiflung unsere Fähigkeit, Freude zu empfinden, überlagern und die gnadenlosen Wellen der Hoffnungslosigkeit sich uns nähern und uns in einem endlosen Ozean ertränken wollen. Es ist kein Land in Sicht ist, wir fühlen wir uns allein, isoliert, verloren, und es gibt keine Hoffnung auf Rettung.
Normalerweise geraten wir nicht freiwillig in solche Situationen. In der Regel werden wir durch ein schicksalhaftes Erlebnis hineingeschleudert, auf das wir scheinbar keinen Einfluss hatten oder von dem wir zumindest dachten, dass wir es uns nicht ausgesucht haben. Unsere Seele jedoch schon.
Es könnte mit einem Unfall begonnen haben, der uns dauerhaft geschädigt hat, oder mit dem Tod eines geliebten Menschen. Oder vielleicht hat unser Mann beschlossen, uns zu verlassen, und wir uns plötzlich nach Jahren als Hausfrau und Mutter wieder neu definieren müssen. Oder vielleicht sind wir krank geworden und können unser Leben nicht mehr so leben, wie wir es gewohnt waren. Oder vielleicht kam es auch langsam, als wachsendes Gefühl der Frustration in einer unglücklichen Beziehung oder in einem unerfüllten Job, das sich zu einer tiefen Depression ausweitete, die in Wahrheit mehr als nur eine Depression ist. Oder eine Sucht, eine Essstörung, eine tief sitzende Angst.
All das kann dazu dienen, die Falltür zu öffnen, die uns in die Dunkelheit unseres Unterbewusstseins stolpern lässt, wo sich all die Dämonen, Monster und Schattenwesen verstecken, die wir nie sehen wollten. Sie warten dort geduldig auf uns. Und wenn Du jetzt denkst, nein, ich habe keine Dämonen, dann liegst Du sehr wahrscheinlich falsch. Sonst wären wir ja nicht hier. Es ist genau diese Dualität unseres Geistes, der ewige Kampf zwischen Göttern und Dämonen, zwischen dem Dunklen und dem Licht, das uns zu Menschen macht. Es ist genau dieses Drama, das göttliche Spiel, das Lila, das uns überhaupt erst zur Inkarnation veranlasst hat. Wir sind auf dieser irdischen Ebene, dieser Welt der Dualität, wo Himmel und Erde aufeinandertreffen, wo die Kräfte der Natur mit den Kräften des Geistes kämpfen, wo männliche und weibliche Energien sich in einem ewigen Tanz anziehen und abstoßen, wie Magnetismus, wie elektrische Kräfte, wie Kernenergie. Warum sonst sollten wir sonst hier sein, wenn nicht, um unsere eigenen inneren dualen Kräfte in uns zu vereinen, um das Gleichgewicht in unserem Körper und unserem Geist wieder zu finden.
Es war schon immer unsere Aufgabe, diese Dämonen zu besiegen. Deshalb sind wir hier.
Und je früher wir uns dessen bewusst werden, desto besser.
Ja, wir alle haben Leichen im Keller und Drachen in der Höhle, und einige von uns können ein ganzes Leben lang glückselig leben, ohne ihenen zu begegnen. Aber sie werden sich immer bemerkbar machen. Sie werden uns dazu bringen, Dinge zu tun, die wir eigentlich nicht tun wollen. Sie werden uns dazu bringen, immer wieder in dieselben destruktiven Muster zu verfallen. Sie halten uns in missbräuchlichen Beziehungen, fesseln uns an unsere Süchte, machen uns zur Beute aller möglichen schicksalhaften Ereignisse und Umstände, denen wir scheinbar zum Opfer fallen. Sie werden uns dazu bringen, die Sahnetorte zu essen, obwohl wir danach Tränen des Selbsthasses vergießen, sie werden uns dazu bringen, eine weitere Flasche Wein zu trinken, unsere Kinder anzuschreien, nur um von Schuldgefühlen geplagt zu werden. Sogar auf globaler Ebene, in unserem kollektiven Bewusstsein, werden sie uns dazu bringen, Kriege zu führen und die Erde zu vergiften, obwohl wir wissen, dass dies letztendlich zu unserem Untergang führen wird. Sie werden immer wieder Situationen schaffen, in denen wir unsere inneren Ängste wieder und wieder durchleben – bis wir endlich etwas dagegen tun. Bis wir der Held unserer eigenen Geschichte werden und die Reise unserer Seele beginnen.
Und die beginnt mit einer dunklen Nacht.
Wir kennen sie, seit wir Kinder sind. Seit unserer Geburt. Als wir noch reine, unbefleckte Menschen waren, authentisch und im Einklang mit unserer wahren Natur. Als wir noch fühlten und spielten und vertrauten, als wir liebten und sangen und Bilder von gelben, lächelnden Sonnen malten. Als wir uns umarmten und küssten und tanzten, ohne Angst vor Verurteilung. Als wir offen weinten, wenn wir Schmerzen hatten, als wir um Hilfe baten, wenn wir sie brauchten, als wir der wahren Berufung unseres Herzens folgten. Wir wussten es, denn eines der Dinge, die wir am meisten liebten, war das Zuhören von Geschichten. Uralte Geschichten, Märchen von Magie und Schönheit, von Drachen und Ungeheuern, von Liebe und Schrecken. Wir verschlangen sie und fragten immer wieder nach unseren Lieblingsgeschichten. Vor allem die schaurigen, in denen Hexen und Wölfe die Unschuldigen verschlangen und böse Magie ein Herz zu Stein werden ließ. Und warum? Weil nichts eine größere Wahrheit verbirgt. Nichts könnte uns besser auf unser Leben auf der Erde vorbereiten.
Jede einzelne von ihnen ist in Ihrer Essenz dieselbe Geschichte – die Geschichte der Reise der Seele durch ihre dunkelste Nacht. Ein Übergangsritus. Und unser Leben ist nichts anderes als eine Reihe von Übergangsriten, von denen jede zu höheren Bewusstseinszuständen führt.
Aber in jedem einzelnen müssen wir uns zuerst von den Fesseln befreien, die uns in unserem eigenen Leiden gefangen halten. Die uns süchtig, schwach und unerfüllt machen. Wir müssen die verborgenen Dämonen bekämpfen, die in den dunklen Ecken des Geistes lauern, wenn wir sie jemals loswerden wollen.
Denn wenn wir das tun, ist es, als würden wir einen Stöpsel ziehen, der die Energie daran hindert, frei zu fließen. Wir brechen einen Damm.
Plötzlich spüren wir uns wieder. Plötzlich sind wir frei von einem Schmerz, von dem wir nie wussten, dass wir ihn haben, weil er unser Normalzustand war. Plötzlich haben wir wieder Energie um zu leben.
Aber diesen Stöpsel zu ziehen ist schwer. Und beängstigend. Und schmerzhaft. Wir wissen nicht, ob wir es jemals lebend herausschaffen werden. Die meiste Zeit wissen wir nicht einmal, was wir überhaupt tun sollen.
Wenn wir uns mitten in einer dunklen Nacht der Seele befinden, sehen wir nur Dunkelheit, Isolation, Angst, Schmerz und Verzweiflung.
Aber genau dieser Zustand des Nichtwissens, des Alleinseins in der Dunkelheit, der Verwundbarkeit und des Ungeschützt-Seins, ist der wichtigste Moment der dunklen Nacht der Seele. Es ist entscheidend, dass wir ihn durchleben. Wenn wir diesen Zustand der völligen Verzweiflung nie erleben, ist es keine echte Transformation der Seele.
Wie Innana, die an jeder der sieben Pforten zur Unterwelt ein Kleidungsstück nach dem anderen ablegen musste, um völlig nackt einzutreten, müssen auch wir nackt werden. Wir müssen alle unsere Masken ablegen, unsere Schleier, die unser wahres, authentisches, wunderschönes, offenes Selbst verdecken, und wir müssen dort hinuntergehen, wie wir sind, und unsere wahre Natur enthüllen. Nackt, wie ein Baby, werden wir in diesem Augenblick neu geboren.
Jede dunkle Nacht der Seele hat etwas mit verlorenen Identitäten zu tun. Wer bin ich? Das ist die große Frage, auf die wir keine Antwort mehr zu haben scheinen, wenn wir unser Zuhause, unseren Job, unsere Beziehung, einen geliebten Menschen verlieren. Wenn wir etwas verlieren, das einst ein wichtiger Teil dessen war, wer wir sind. Aber dieser Verlust bedeutet einfach, dass es für uns an der Zeit ist, weiterzuziehen. Es bedeutet, dass wir das nicht mehr sind. Unsere Seele ist aus dem Leben, das wir bisher geführt haben, herausgewachsen.
Wie eine Raupe oder eine Schlange streifen wir die Haut ab, die für unsere Seele zu klein geworden ist. Wir streifen alle Identitäten ab, die wir bisher hatten. Und dieser Prozess des Abstreifens ist schmerzhaft, aber notwendig, denn darunter befindet sich eine neue Haut, neue Identitäten, die von unserer Seele, von unserem wahren Selbst manifestiert werden. Es ist ein Moment der reinen Potenzialität, ein Übergangsritus.
Und wie bei allen Übergangsriten müssen wir ihn allein vollziehen.
Aber das Leben hat uns die Werkzeuge in die Hand gegeben, die wir brauchen, um ihn zu bestehen. Magische Werkzeuge.
Das Leben hat uns ein Handbuch gegeben. Es kommt in Form von alten vedischen Weisheiten, von schamanischen Ritualen, von Märchen und Legenden. Es gibt uns Werkzeuge wie Yoga, Meditation, Innere reisen, kreative Prozesse und Übungen, die uns helfen, unsere alte Haut loszulassen. Es gibt uns Wissen, das unseren Geist hochhält, weit über dem Drama unseres Schmerzes. Eigentlich haben wir schon alles, was wir brauchen, um diese Stunde der Dunkelheit zu überstehen.
Wir haben sie alle schon einmal durchgemacht, bei unserer Geburt und in unserer Jugend, wärend der Adoleszenz. Was haben wir aus dieser Zeit gelernt?
Wir wissen, dass es darum geht, unsere eigene, wahre Natur zu akzeptieren. Wer bin ich? Das ist die Frage, die sich bei allen Übergangsriten stellt – in der Adoleszenz, in den Wechseljahren, bei Geburt und Tod und all den anderen Portalen, die uns in die dunkle Nacht der Seele eintreten lassen. Das Wichtigste, was wir jetzt tun müssen, ist, uns selbst treu zu sein. Ehrlich. Authentisch.
Wer bin ich?
Woher wissen wir das?
Frag dich sich dies: Gibt mir das, was ich tue, Energie, fühle ich mich dadurch vital und lebendig? Wenn nicht, wenn es mich auslaugt, ist das ein Zeichen dafür, dass ich gegen die Gezeiten des Universums schwimme, dass ich nicht mit meiner wahren Natur im Einklang bin. Und ein Kampf zwischen meinem Ego und dem Universum kann niemals gewonnen werden. Niemals.